07.07.2018 Thüringen Ultra
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- Erstellt am 08. Juli 2018 - 17.20
- Verfasst von Steffen Uhlich
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100 Kilometer mit der Startnummer 100 oder wenn es weh tut bist du am Leben
Nach dem Sommerlager ist vor dem Wettkampf. Ich bin extra einen halben Tag eher abgereist, um mich in Ruhe auf den großen Tag vorbereiten zu können. 0.30 Uhr hieß es aus den Federn. Ein kurzes Frühstück und 1.00 Uhr startete ich Richtung Thüringen. Während der Fahrt habe ich mich ordentlich gestärkt. Die Fahrt nach Fröttstädt, einem kleinen Ort nahe Gotha, dauerte knapp zwei Stunden.
So blieb genügend Zeit um alle Formalitäten vor dem Start zu erledigen. Beim Aussteigen aus dem Auto, fragte ich mich, was ich hier soll. Es war sehr kalt, dunkel und irgendwie ungemütlich. Geschätzt zeigte das Thermometer nur 12°C. Aber schon bei der Startnummernausgabe sprang der Funke des Ultrafiebers über und die Anspannung stieg. Jetzt stand die Entscheidung, was soll man anziehen. Es war kalt aber es sollte noch sehr warm werden. Bei einem Tagesritt eine schwere Entscheidung. Ich entschied mich für kurze Laufkleidung. Noch etwas Einlaufen und schon rückte der Zeiger Richtung 4.00 Uhr. Es versammelten sich die gut 250 Starter am Startbogen. Mir wurde heiß und kalt zugleich. Standen doch unvorstellbare 100 Kilometer vor mir. Die Teilnahmeidee entstand im letzten Jahr, als ich mit Kay Teuchert ein 2er Team bildete und gleich einen Podestplatz erreichte. Doch das, was ich dieses Jahr machen wollten, war eine ganz andere Preisklasse. Allein 100 Kilometer am Stück mit irren 2250 Höhenmetern quer durch den Thüringer Wald zu Laufen, ist schon irgendwie verrückt. Mein Test, der Rennsteiglauf im Mai, ging ja völlig in die „Hose“. Trotzdem habe ich ruhig weiter trainiert. Mein Ziel: gut und gesund Durchkommen und irgendwie zwischen 11 und 12 Stunden zu finishen. So bin ich die Sache auch angegangen. Meine Laufuhr habe ich ausgeschaltet gelassen. Damit entstand kein Ergebnisdruck. Zeiten und Platzierung waren völlig egal. Ziemlich entspannt lief ich also die ersten fünf Einlaufkilometer. Da hatte sich das Feld sortiert. Ich schloss mich einer Dreiergruppe an. Diese lief sehr entspannt und ruhig durch die Nacht. Jetzt erreichten wir die ersten Anstiege und unsere Gruppe spaltete sich. Mein „Mitläufer“ entpuppte sich als ein ganz starker Läufer meine Altersklasse. Er finishte den Rennsteiglauf über eine Stunde schneller als ich. Da hatten wir genügend Gesprächsstoff für viele Kilometer. So fiel es mir total leicht, locker die Berge hoch und runter zu laufen. Ich war sehr überrascht, wie super es lief. Mein Kopf war frei und bereit für eine ganz außergewöhnliche Leistung. Die Sonne erhellte den Morgen. Nur gut, dass die Laufstrecke durch den Wald führte, so blieb es noch lange angenehm kühl. An den Verpflegungspunkten war Energienachschub angesagt. Am Anfang nahm ich Tee, Wasser, Banane mit Salz! und Energieriegel, später Cola und Energietrinks. Vor allem viel Trinken war wichtig. An diesen Verpflegungsstellen, die ca. aller 5 bis 8 Kilometer vorbereitet waren, verbrachten wir ein bis zwei Minuten. Dann ging es weiter. Bis Kilometer 27, der ersten Zeitmessung, bin ich kein einziges Mal gegangen. Auch die steilen Berge konnte ich im Laufschritt emporstiefeln. Selbst bis Kilometer 55 schaffte ich alles noch erstaunlich locker. Ich war zu diesem Zeitpunkt immer noch mit meinem „Mitläufer“ zusammen. Unsere Platzierungen kannten wir nicht. Aber ein Blick auf meine Uhr, es war gerade einmal 9.12 Uhr, verriet mir, dass wir sehr schnell unterwegs waren. Ich hatte keine Ahnung, dass ich zu diesem Zeitpunkt in Führung lag. Jetzt ging aber der Lauf erst richtig los. Ein, mit knapp 400 Höhenmeter, sehr intensiver und 7 Kilometer langer Anstieg lag vor mir. Ich schnappte mir einen Kilometer nach dem anderen. Musste aber die ersten Gehphasen einlegen. Aber ich habe den Berg gemeistert. Jetzt war ich auf 950m Höhe und bis zum Ziel waren es noch 38 Kilometer. Die Beine wurden schwer, die Muskeln meldeten sich. Bei Kilometer 75 verlor ich den Anschluss zu meinen „Mitläufer“. Das ließ mich allerdings nicht verzweifeln. Ahnte ich doch, dass ich sehr gut durch die 100 Kilometer kommen würde. Jetzt lief ich ganz allein. Musste mich also voll auf die Streckenhinweise und meiner Lauftechnik konzentrieren. Dies gelang mir recht ordentlich. Auch wenn die kurzen Gehphasen jetzt öfters kamen. Der Wald lichtete sich, die Sonne machte sich bemerkbar. Es wurde ziemlich warm. Ab Kilometer 80 war ich im „Tunnel“. Jetzt galt es zu kämpfen. Die Oberschenkel haben gebrannt und bei jeder Bergabstrecke musste ich extrem aufpassen, dass mich kein Krampf ereilte. Ich habe da lieber das Tempo etwas rausgenommen. Bei Kilometer 90 hatte ich meinen „Mitstreiter“ auf einmal wieder 100m vor mir und versuchte noch einmal ran zu laufen. Leider gelang es mir nicht. Dieser kurze Augenblick entfachte bei mir aber neue Kräfte. Das Ziel rückte immer näher. Als fünf Kilometer vor dem Ziel ein Diskjockey richtig Party machte und zum Endspurt aufrief, da schoss das Adrenalin in meine Adern. Hatte ich tatsächlich schon 95 Kilometer zurückgelegt? Und alles mit einem klaren Kopf und „lockerem“ Gefühl. Es war wahr und so lief ich dieses Wahnsinnsrennen zu Ende. Als ich den Zielort Fröttstädt im Blick hatte, waren alle Schmerzen vergessen und die letzten 200m bin ich eigentlich geflogen, den Jubel auf der Zielgerade inclusive. Nach 10:04:41 Stunden sprang ich über die Ziellinie. Mein Mitstreiten, er war fünf Minuten vor mir angekommen, empfing mich mit offenen Armen. Er sagte mir auch, dass ich Zweiter geworden bin. Das wollte ich erst gar nicht glauben. Doch auch der Sprecher verkündete den Silberrang. Die letzten Worte gingen in meinem Freudenschrei unter. Ich war einfach nur glücklich, bei meinem erste 100-ter gleich so eine Platzierung zu erreichen. Alles war nur Kopfsache. Ich bin im Vorfeld locker an die Sache rangegangen, habe den Lauf locker begonnen und bin die ganzen zehn Stunden locker geblieben. Ohne Erfolgsdruck – dass war das Erfolgsrezept! Die Schmerzen kann man aushalten, man darf sie nicht bemitleiden! Von allen Teilnehmern überquerte ich sensationell als 12-ter die Ziellinie.
Und was macht man so danach? Erst einmal Dehnung und ausgiebig Duschen, anschließend ein alkoholfreien Zielbier trinken, sich massieren lassen und auf die Siegerehrung warten. Da gehen schon zwei Stunden ins Land. Ich war so gut drauf, dass ich mich anschließend gleich noch auf den Heimweg machte. 18.30 Uhr war zu Hause Feierabend. Ein aufregender Tag lag hinter mir.
Noch ein Fazit für die Kids: manches klingt unheimlich und ist eigentlich nicht machbar, doch wenn die Einstellung im Kopf stimmt, ist vieles unmögliche realisierbar! Der Wille ist ein wichtiges Gut!